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01.07.2015

Bundesverfassungsgericht: In Vorsorgevollmacht kein Verzicht auf gerichtliche Genehmigung zulässig

Zur Vermeidung einer Betreuung verweist das Gesetz nunmehr ausdrücklich auf die Möglichkeit, eine Vorsorgevollmacht zu erteilen, hin, die sicherstellt, dass eine Person, die ihre eigenen rechtlichen Belange nicht mehr erledigen kann, durch einen Bevollmächtigten im Rechtsverkehr vertreten wird. Immer mehr Personen machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, die sich grundsätzlich in der Praxis auch als gutes Mittel der Eigenversorgung erwiesen hat. Wenngleich zu Beginn der Entwicklung Gefahren, die mit einer Vorsorgevollmacht verbunden sind, häufig nicht adäquat geregelt wurden und man heute dazu übergegangen ist, hier sehr viel sorgfältiger Kontrollmechanismen einzuplanen, ist die Erteilung einer Vorsorgevollmacht nach wie vor eine zu erwägende Möglichkeit der Selbstversorgung. Allerdings auch dann, wenn eine solche Vorsorgevollmacht erteilt ist, gibt es für bestimmte Maßnahmen – beispielsweise Behandlungsabbruch oder freiheitsbeschränkende Maßnahmen – die Notwendigkeit, diese vorab unter bestimmten Umständen durch das Betreuungsgericht genehmigen zu lassen. Kann auf das Genehmigungserfordernis verzichtet werden?

Zu Grunde lag der Entscheidung ein Fall, in dem eine alte Dame eine notarielle Vorsorgevollmacht an ihren Sohn erteilte, in der sie im Vorhinein auf eine betreuungrichterliche Genehmigung auch für freiheitsbeschränkende bzw. freiheitsentziehende Maßnahmen verzichtete. Als sich der Gesundheitszustand der alten Dame soweit verschlechterte, dass sie mehrfach gestürzt und sich hierbei Verletzungen zugezogen hatte, willigte der Bevollmächtigte ein, Bettgitter zu befestigen und sie in ihrem Rollstuhl durch einen entsprechenden Gurt zu fixieren. Nach dem Wortlaut der Bevollmächtigung konnte diese Entscheidung ohne Einschaltung des Betreuungsgerichts getroffen werden.

Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass eine Grundrechtsverletzung durch die fachgerichtliche Genehmigung in die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nicht vorliege, insofern eine solche jedenfalls erforderlich sei. Zwar sei damit das Selbstbestimmungsrecht der Vollmachtgeberin betroffen, was allerdings gerechtfertigt sei. Die Rechtfertigung leite sich aus der immanenten Pflicht des Staates in Art. 1 I S. 2 GG ab, die Freiheit des Einzelnen dort vor Eingriffen Dritter zu schützen, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht mehr dazu in der Lage seien. Selbst dann, wenn vorsorglich eine Einwilligung in der Vorsorgevollmacht selbst schon erklärt sei, löse eine Fixierung ein Bedrohungsgefühl aus. Im Hinblick darauf, dass für die grundrechtliche Beurteilung der Schwere des negativen Eingriffs in die Rechte des Betroffenen auch das subjektive Empfinden von Bedeutung sei, rechtfertige das ausgelöste Bedrohungsgefühl das Genehmigungserfordernis. Auch ein Kontrollbetreuer als Kontrollorgan über die rechtmäßige Handhabung der Vorsorgevollmacht löse diese Problematik nicht, da dessen Beurteilung nur einen nachträglichen Schutz gewähren könne, jedoch nicht im Vorhinein eine Prüfung sicherstellen würde. Vor diesem Hintergrund könne also ein Vollmachtgeber im Vorhinein auf das Genehmigungserfordernis nicht verzichten.


Tags: Vorsorgevollmacht,

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